Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt die Entwicklung Öffentlicher Bibliotheken u.a. durch die finanzielle Förderung von innovativen Projekten. Die Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken NRW stellt in lockerer Reihenfolge interessante Praxisbeispiele aus verschiedenen Förderprogrammen in Form von Gastbeiträgen auf ihrem Blog vor.
In diesem Beitrag wird das Projekt „Lesen und Schreiben – die Schlüssel zur Welt“ vorgestellt. Die Stadtbücherei Erkrath hat das Projekt bereits 2015 durchgeführt.
Als das Projekt Ende 2014 beantragt wurde, standen mehrere Zielgruppen im Fokus, die wir mit dem neuen Angebot erreichen wollten. Dass es aufgrund des Flüchtlingsstroms eine solche Relevanz haben würde, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen.
Nach der Kontaktaufnahme mit der Stadtbibliothek Köln, besonders mit der Zweigstelle in Köln-Kalk, und der Besichtigung eines Alpha-Studios, wurde ein eigener Bereich für die Aufnahme der Medien mit einem für die Zielgruppe separat aufgestellten Rechner geplant. Anfang des Jahres 2015 konnten wir durch eine großzügige Spende den Eingangsbereich der Stadtbücherei im Bürgerhaus im Sinne des Q-Thek-Gedankens von dem Architektenbüro Reich & Wamser umgestalten lassen. Das neue Design hat viel positive Resonanz hervorgerufen, sodass wir uns entschlossen haben, den neuen Bereich korrespondierend zum Eingangsbereich gestalten zu lassen. Da diese Lösung teurer werden würde als das ursprünglich angedachte Konzept, waren wir bei der Umsetzung auf die Unterstützung von Sponsoren angewiesen. Die Wirtschaftsgemeinschaft „erkrath initial e.V.“ und der Förderverein der Stadtbücherei e.V. stellten uns die erforderlichen Mittel zur Verfügung. Somit konnten die Pläne des Architektenbüros Reich & Wamser erneut umgesetzt werden. Mit dieser schönen Umgestaltung ist der neue Bereich ein Blickfang geworden. Er beherbergt neben den Medien zum Leichter Lesen und zum Deutsch lernen den Flyer in leichter Sprache und Informationen für Menschen mit Migrationshintergrund. Integriert wurde ein PC-Arbeitsplatz, wo einerseits das Programm des deutschen Volkshochschulverbandes „Ich will deutsch lernen.de“ installiert ist und andererseits die Tageszeitungen des Presseportals „BIBNET-Press“ gelesen werden können.
Zur Umsetzung des geplanten Projektes wurden zunächst Medien in leichter Sprache, Großdruckbücher, Hörbücher, Literaturverfilmungen und Wörterbücher für den Bestand der Stadtbücherei angeschafft. Beim Kauf der Medien für das Deutschlernen und die Alphabetisierung folgten wir den Empfehlungen der VHS.
Zeitgleich mit der offiziellen Eröffnung des Bereiches gab es noch eine zweite Premiere: zwei Kolleginnen produzierten ein Erklärvideo und stellten dieses ins Netz: Der Vorgang der Online-Verlängerung von Medien wird in „Leichter Sprache“ sehr anschaulich dargestellt.
https://www.youtube.com/watch?v=0sZHZCP1QfA&feature=youtu.be
Darüber hinaus gibt es auf der Webseite der Stadtbücherei eine eigene Seite in „Leichter Sprache“ sowie diverse Handzettel zum Mitnehmen, die in Zusammenarbeit mit Frau Leichtfuss erarbeitet wurden.
Die ortsansässige Volkshochschule, mit der wir in verschiedenerlei Hinsicht zusammenarbeiten, hat, mit Blick auf unser Projekt, wieder Alphabetisierungskurse angeboten. Es stellte sich zu Beginn des Semesters aber heraus, dass es äußerst schwierig ist, die Menschen zu einem solchen Kurs zu bewegen, die nicht oder nicht sinnerfassend lesen können.
Begleitend war angedacht, dass bei der Stadtbücherei sogenannte Lernpaten mit den Kursteilnehmern den Online-Kurs „Ich will deutsch lernen. de“ bearbeiten sollten. Eine Dozentin der VHS sollte in der Stadtbücherei die angehenden Lernpaten auf ihre Arbeit an zwei Abenden in einem insgesamt 8 Stunden umfassenden Kurs vorbereiten.
Dieser Kurs sollte nach den Sommerferien beginnen. Als der Aufruf sich als Lernpaten zur Verfügung zu stellen in der Presse erschien, stand gerade mal zwei Tage fest, dass das Bürgerhaus, in dem auch die Hauptstelle der Stadtbücherei beheimatet ist, als Notunterkunft für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt wird. Was dann passierte, hat uns überrascht und überrollt: Statt der erwarteten 10-12 zukünftigen Lernpaten meldeten sich knapp 100 Personen. Zeitgleich erfolgte die erste Belegung des Bürgerhauses mit Flüchtlingen. Aus den zwei für Lernpaten geplanten Fortbildungen wurden sechs, damit alle ehrenamtlich Tätigen daran teilnehmen konnten.
Fortan wurde täglich mit Kleingruppen in der Stadtbücherei im Bürgerhaus gelernt. In der Regel waren während der Öffnungszeiten alle Stühle (68) besetzt. Nach den ersten Erfahrungen wurde darauf geachtet, dass in jeder Lerngruppe ein wenigstens in Ansätzen englischsprechender Mensch teilnahm, der für die anderen Gruppenmitglieder als Übersetzer fungierte. Waren die Gruppen anfänglich nach dem Zufallsprinzip entstanden, so versuchten wir sie homogener, d.h. entsprechend dem Bildungsstand der Teilnehmer zusammenzufassen.
Die Stadtbücherei wollte mit diesem Projekt einen Beitrag zur Inklusion und zur Unterstützung bildungsbenachteiligter Menschen leisten und denen ein Angebot zur Verfügung stellen, die am Anfang des Lesen Lernens stehen, die nicht Sinn erfassend lesen können, die deutsche Sprache noch nicht ausreichend beherrschen oder die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr lesen können.
Dass ein mittelfristig geplantes Projekt aufgrund aktueller Tagesgeschehnisse so unmittelbar zu einem hilfreichen Werkzeug in einem großen gesellschaftspolitischen Kontext wird, erleben wir auch selten. Es galt, viele Probleme im Eilverfahren zu lösen und dabei das reguläre Bücherei-Tagwerk nicht aus den Augen zu verlieren. Da die Besetzung des Bürgerhauses als Notunterkunft naturgemäß schnelle Wechsel der einquartierten Flüchtlinge mit sich brachte, wurden an die Flexibilität der Lernpaten und des Büchereiteams hohe Anforderungen gestellt.
In regelmäßigen Besprechungen wurde jedoch deutlich, dass die „Nachbarschaftshilfe“ für die in Erkrath angekommenen Flüchtlinge bei allen Beteiligten nicht nur eine große Anstrengung, sondern ebenso auch eine Bereicherung darstellt.
Mit der Freigabe des neuen Bestandsbereiches in der Bücherei im Bürgerhaus war, wie bei Landesmittelprojekten üblich, nun einerseits ein Schlusspunkt erreicht: die bewilligten Fördermittel wurden umgesetzt und ein neuer Nutzungsbereich ist dadurch entstanden. Andererseits ist es immer erfreulich, wenn aus einem Jahresprojekt eine nachhaltige Wirkung erwächst: Das Engagement der Lernpaten endet zum Glück nicht mit dem Verbrauch des bewilligten Budgets. So lange in Erkrath Flüchtlinge untergebracht sind, soll auch in der Bücherei weiter fleißig die deutsche Sprache mit Hilfe der neuen Medien in kleinen Lernteams geübt werden.
Inzwischen hat sich ein zehnköpfiges Team aus der Lernpatengruppe heraus gebildet, deren Mitglieder ab Mitte April dieses Jahres unter dem Motto „Komm und sprich“ ein „Sprechcafé“ für zugewiesene Flüchtlinge anbieten werden. Bei dem wöchentlichen Treffen soll jedes Mal ein anderer, von den Lernpaten vorbereiteter Sprechanlass im Mittelpunkt stehen.
Die Stadtbücherei Erkrath stellt sich vor:
Erkrath ist eine im Kreis Mettmann gelegene Stadt in der unmittelbaren Nähe zu Düsseldorf. Erkrath ist als Stadt noch sehr jung, es erhielt erst 1966 die Stadterhebungsurkunde und wurde 1989 selbsständig (Ausgliederung aus der damaligen Landgemeinde Gerresheim). In den drei Stadtteilen (Alt-)Erkrath, Hochdahl
Unterfeldhaus leben etwa 45.000 Menschen. Neben der Zentrale im Bürgerzentrum Hochdahl, existiert eine Zweigstelle im Kaiserhof in Alt-Erkrath und ein automatisierter Bücherschrank in einem Supermarkt in Unterfeldhaus. Das Team besteht aus 8 Personen, die auf 6 Stellen verteilen.
Weitere Informationen auf der Webseite der Stadtbücherei unter: https://www.erkrath.de/stadtbuecherei
oder auf der Facebook-Seite unter: https://www.facebook.com/stadtbuecherei.erkrath/
oder besuchen Sie das Blog unter: https://stadtbuechereierkrath.wordpress.com/
Ansprechpartner:
Anne Heimansberg-Schmidt
Stadtbüchereileiterin
Sedentaler Str. 105
40669 Erkrath
E-Mail: anne.heimansberg-schmidt[at]erkrath.de