Ca. 1.200 Bibliotheken haben sich in den vergangenen fünf Jahren für die Einführung der Onleihe entschieden. Mit der zunehmenden Verbreitung von E-Books und vor allem von E-Book-Readern hat auch diese Medienform Einzug in das Bestandsangebot Öffentlicher Bibliotheken gehalten. In der Regel organisieren Öffentliche Bibliotheken ihr E-Book-Angebot als digitale Zweigstelle. Ähnlich wie zuvor AV-Medien als gesondertes Lektoratsgebiet behandelt wurden, werden auch E-Medien häufig als geschlossenes Bestandssegment innerhalb des Lektorats betrachtet.
Bibliotheken stehen nun vor der Aufgabe ein Bestandsprofil für ihr E-Medien-Angebot zu entwickeln. Noch vor zwei, drei Jahren ging es darum, das Bestandsangebot aufzubauen. Das Marktangebot für Bibliotheken war deutlich eingeschränkt. In der Zwischenzeit hat sich dies geändert. Das Angebot ist so groß, dass man mit dem verfügbaren Etat nicht mehr alle Titel beziehen kann. Spätestens jetzt wird es Zeit, sich Gedanken über ein Bestandsprofil für E-Medien zu machen:
- Für welche Zielgruppe sollen E-Books angeschafft werden? Und – diese Frage ist noch wichtiger – hat die ausgesuchte Zielgruppe überhaupt Interesse an E-Medien? In der Annahme, dass gerade junge Leute E-Books ausleihen würden, haben viele „Onleihe-Pioniere“ auf Literatur für Schüler gesetzt. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass die Ausleihe von schülerrelevanter Literatur nicht sehr umsatzstark ist. Mangels Erfahrung konnte dies niemand vorhersagen. Aber nicht nur die eigenen Umsatzzahlen für E-Medien sollten der Maßstab für die Anschaffungspolitik sein. Auch Verkaufszahlen von E-Books, neue Trends und die Verbreitung der Technik sollten beobachtet werden, um die Zielgruppendefinition kontinuierlich anpassen zu können. Gehören diese allgemeinen Zahlen vielleicht auch während der Aufbaujahre in ein Bestandsprofil?
- Wie soll sich das Bestandsprofil inhaltlich zusammensetzen? Welchen Prozentanteil machen Kinder- und Sachliteratur, welchen die Belletristik aus? Gibt es Sachgebiete, die man nicht einbezieht oder nicht einbeziehen kann, da das Angebot (noch) fehlt? Ist es notwendig die Schwerpunkte im Bereich E-Books für jedes Sachgebiet, die Kinderliteratur und die Belletristik festzulegen (Ratgeber, Krimis, keine juristischen Handbücher)?
- Kann man das Bestandsprofil für E-Books unabhängig von den Bestandsprofilen für den Print-Bereich entwickeln? Oder muss man für jedes Sachgebiet nicht auch die Anteile an E-Books und Print-Medien festlegen? Wie kann man die Bestandsprofile für den Printbereich mit dem für den E-Book-Bestand verzahnen?
- Wie sieht es mit Angaben zur Bestandsgröße aus? Kann man jetzt überhaupt schon die Bestandsgröße für den E-Book-Bestand insgesamt bzw. für die einzelnen Bereiche festlegen? Und wie wirkt sich der wachsende E-Book-Bestand auf die Bestandsgrößen des konventionellen Bereichs aus? Wie lange stellen E-Books eine Ergänzung zum Printbestand dar, ab wann ersetzen sie ihn vielleicht?
- Und welches Umsatzziel ist realistisch? 2-facher Umsatz? 3-facher Umsatz? Soll der E-Book-Bestand in den kommenden drei Jahren einen eigenen Etat erhalten – unabhängig von den Umsatzzahlen? Ab wann soll er nach den bisher geltenden Kalkulationsregeln in die Etatverteilung aufgenommen werden? Gelten die bisherigen Regeln für die Etatkalkulation in Zukunft weiterhin? Oder muss ein neues Etatverteilungsmodell entwickelt werden?
- Noch spannender: wie sieht es mit Abgängen aus? Bisher waren Abgänge noch kein Thema, da man den E-Book-Bestand erst aufbaut. Wie sieht dies in drei bis fünf Jahren aus? Sollen Lizenzen von E-Books, die 12 Monate nicht entliehen wurden, gelöscht werden? Gilt es hier besondere rechtliche Rahmenbedingungen zu beachten? Zum Beispiel in Zusammenhang mit der Doppelten Buchführung? Sollen Abgangsquoten gesondert für E-Books festgelegt werden oder für den gesamten Bestandsbereich inklusiv Printmedien?
Diese Fragen können das Thema Bestandsprofile für E-Books nur anreißen. Welche Praxiserfahrungen haben Sie bisher gesammelt? Welche Bibliothek ist an einem Erfahrungsaustausch interessiert?