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Bibliotheken im Ausland – Oodi Helsinki (Teil 4)

Im Dezember 2018 wurde Oodi, die neue Filiale der Stadtbibliotheken in Helsinki eröffnet. Aufgrund ihrer Größe und der zentralen Lage, neben dem Bahnhof, wird sie häufig fälschlicherweise für die Zentralbibliothek gehalten, welche jedoch auch weiterhin die Pasila-Bibliothek sein wird. Passend zu unserem, zugegeben zufällig für August geplanten Besuch in Helsinki wurde Oodi kurz zuvor von der IFLA zur „Weltbesten Öffentlichen Bibliothek des Jahres 2019“ ernannt. Und wir konnten uns direkt einen Eindruck davon machen, warum das so ist.

Das vom finnischen Architekten-Team ALA entworfene Gebäude war in den vergangenen Jahren, seit Planung des Baubeginns bereits vielfach im Gespräch. An der Gestaltung der Bibliothek, so wurde auf der Public! 2018 in München während eines Vortrages berichtet, waren maßgeblich auch die Bürger*innen von Helsinki beteiligt, die durch Umfragen und Workshops die Idee einer Bibliothek der Zukunft mitentwickeln konnten. Projektbeginn des Ganzen war bereits im Jahr 2012.

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Außenansicht von der Parkseite aus auf die geschwungene Fassade von Oodi

Nun steht das neue Flaggschiff des Öffentlichen Bibliothekwesens mitten in Helsinki und verbindet den auf der einen Seite gelegenen Stadtkern mit dem auf der anderen Seite gelegenen Park. Die Fassade des Gebäudes zeichnet sich in der Gestaltung durch das für Finnland typische Fichtenholz aus und wird unterbrochen von großen geschwundenen Glasflächen, vor allem an den Eingängen und im Bereich des 2. Obergeschosses. Sobald es draußen dunkel und das Gebäude aus dem Inneren heraus beleuchtet wird, verstärkt diese Beleuchtung den eh schon vorhandenen skulpturalen Eindruck. Das Gestaltungselement Holz zieht sich auch im Inneren der Bibliothek weiter durch die Räumlichkeiten.

Betreten werden kann das Foyer sowohl von der Stadt-, als auch von der Parkseite aus. Das offen gestaltete Erdgeschoss beherbergt neben der Informationstheke der Bibliothek auch Theken einiger ihrer Kooperationspartner so z.B. des Bürgerservices „Helsinki-Info“ oder eine Anlaufstelle für EU-Informationen. Zudem findet der Nutzer hier eine gemütlich gestaltete Cafeteria/Restaurant, eine Küche in Welcher Kurse stattfinden können, einen Veranstaltungs- und sogar einen Kinosaal. Im, in der einen Spitze liegenden (hinteren) Gebäudeteil finden Betreuungsgruppen für Kinder einen Bereich, in dem gespielt werden kann.

 

Über die im Kern des Gebäudes liegende, imposante Wendeltreppe (oder auch über den Aufzug und Rolltreppen) gelangt der Nutzer in das erste Obergeschoss des rund 10.000 m² großen Gebäudes. Hier befinden sich die Flächen für alle Schaffenden und Kreativen. Der „Urban Workspace“ bietet auf einer großen Fläche Platz für einen Makerspace mit 3D-Druckern, Plottern, Overlock-Nähmaschinen oder auch Stickmaschinen. Es gibt abgetrennte Gruppen- und Einzelarbeitsräume. Diese können gegen eine Gebühr reserviert werden. Ansonsten ist die Nutzung der Bibliothek entgegen den meisten Öffentlichen Bibliotheken in Deutschland kostenfrei. Neben den Arbeitsräumen gibt es hier auch mehrere schallisolierte Probenräume und Tonstudios für Musiker, was wie wir erfahren haben in Finnland völlig normal zu sein scheint. Man möchte auch Menschen, die finanziell weniger gut aufgestellt sind, die Möglichkeit geben ihre Musik aufzunehmen. Auch Instrumente können hier geliehen werden.

Ein wichtiges, räumliches Gestaltungselement im ersten Obergeschoss ist die Stufenlandschaft. Hier sitzen die Nutzer, lesen, hören Musik oder laden einfach ihre mobilen Endgeräte auf. Vor einer bepflanzten, grünen Wand, einem sogenannten vertikalen Garten stehen Loungemöbel zum Relaxen oder Lernen zur Verfügung.

Im zweiten Obergeschoss eröffnet sich dem Nutzer dann das, was am ehesten unserem Bild einer Öffentlichen Bibliothek entspricht: der sogenannte Lesehimmel. Hier sind auf einer großen lichtdurchfluteten Fläche etwa 100.000 Medien aufgestellt. Das klingt im ersten Moment nach viel und vollgestellt, wirkt aber ganz und gar nicht so. Die an sich sehr strukturierte Medienaufstellung wird regelmäßig von Sitzgruppen oder Sesseln unterbrochen, die auf eigens für Oodi gefertigten Teppichen stehen. Es gibt Pflanzbehälter, in welchen kleine Bäume stehen, die zusätzlich zu den großen Glasflächen dafür sorgen, dass eine Verbindung von Drinnen und Draußen hergestellt wird.

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Der Lesehimmel lädt zum schmökern und zum Aufenthalt ein.

Die Decke des zweiten Obergeschosses ist so gestaltet, dass sie sich immer wieder wölbt. In den Spitzen der Wölbungen befinden sich weitere Öffnungen die Tageslicht in den Raum hineinlassen.

Vor der Glasfassade Richtung Park und dem finnischen Parlament, auf welches man von hier oben blickt, befindet sich ein weiteres Lesecafé. Die Nutzer können die Getränke hier zu sich nehmen, mit in die Bibliothek oder bei gutem Wetter nach draußen auf die großflächige Dachterrasse.

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Ausblick Richtung Park durch die gebogen gestaltete Glasfront.

An beiden Enden des Gebäudes erhebt sich das Obergeschoss. Linksseitig über eine Treppe und eine Rampe aus Parkettholz, wo die Nutzer lesen können, welche aber auch gerne zum Toben genutzt wird. Auf der anderen Seite befindet sich die Kinderbibliothek. Während des Zeitpunkts unseres Besuches wurde dieser von einer Gruppe aus etwa 25 Müttern mit ihren Babys genutzt, die sich fröhlich auf dem Boden herumrollten. An der Fensterfassade daneben standen auf den gekennzeichneten Parkplätzen nebeneinander aufgereiht die Kinderwägen. Mit Ausnahme eines Kinderwagens der etwas näher an der Gruppe an einer Säule geparkt wurde, die als Schlafplatz für Kinder in ihren Kinderwägen gekennzeichnet ist. Unter der Erhöhung im Kinderbereich, auf welchem Bilderbuchtröge auf den Stufen stehen und sich oben ein Spielbereich befindet, befindet sich ein weiterer Veranstaltungsraum.

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Kinderwagenparkplätze und „Kinderschlafplatz“

Die Akustik auf dieser Etage ist ganz erstaunlich. Trotz der vielen Menschen, die sich hier aufhalten, kommunizieren, lesen oder spielen, entsteht nicht der Eindruck von Lärm. Dies könnte aber, wie man uns berichtete auch daran liegen, dass die Finnen sich generell in der Öffentlichkeit leiser unterhalten, als es bei uns der Fall ist. Wobei Oodi bei den durchschnittlich 10.000 Besuchern am Tag durchaus nicht nur von Finnen genutzt wird. Ein großer Teil der Besucher sind tatsächlich Bibliothekstouristen, so wie wir.


Weitere Beiträge dieser Reihe:

Bibliotheken im Ausland – Die Fachstelle auf Reisen (Teil 1)

Bibliotheken im Ausland – „School 7“ in Den Helder (Teil 2)

Bibliotheken im Ausland: Schiedam – die erste grüne Bibliothek der Niederlande (Teil 3)

Bibliotheken im Ausland – „Biblo Tøyen“ – für Erwachsene verboten (Teil 5)erwachseverboten-teil-5/

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