Silhouette der Stadtbibliothek Münster mit Schriftzug Bibliothek der Zukunft
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Zukunftsprozess der Stadtbibliothek Münster: Partizipation als Erfolgsrezept

Die Digitalisierung der Gesellschaft führt zu Veränderungen in der Medienlandschaft sowie im medialen und sozialen Verhalten der Menschen. Die Öffentlichen Bibliotheken befinden sich dadurch in einem umfassenden Transformationsprozess. Die Stadtbücherei der Zukunft kann vieles sein: Lernort, Informationsvermittlerin, Austauschort, Kooperationspartnerin, Innovationsträgerin oder „Wohnzimmer der Stadt“. Sie kann Leseförderin oder digitale Vermittlerin sein, Makerspace und natürlich nach wie vor Bibliothek. Das im Oktober 2019 verabschiedete Bibliotheksstärkungsgesetz trägt dem Rechnung. Es weist die Vielfalt der Aufgaben aus und schafft einen verlässlichen und sicheren Rahmen. Auch die Stadtbücherei Münster will sich diesem Wandel stellen. Mit den bewilligten Fördermitteln des Landes Nordrhein-Westfalen konnte sie daher zwischen Juni 2019 und Frühjahr 2021 einen intensiven und breit angelegten Zukunftsprozess durchlaufen.

Struktur des Zukunftsprozesses

Die Bücherei strukturierte ihren Zukunftsprozess in drei Schwerpunkte:

  • Sensibilisierung für notwendige Veränderungen durch eine Diskussion des Leitbildes der Stadtbücherei
  • Partizipation des Mitarbeiterteams, der Münsteraner Bürgerschaft und externer Fachleute
  • Entwicklung einer Zukunftsstrategie und einer neuen Organisationsstruktur

Diese Schwerpunkte wurden in mehreren Schritten und mit verschiedenen Methoden durchgeführt. Hierbei war der Aspekt der Partizipation sehr wichtig.

  • Die Beteiligung der Mitarbeitenden der Stadtbücherei begann mit der Leitbilddiskussion und umfasste zwei Mitarbeitertage zur Kultur des Miteinander und zur Vision 2025 sowie individuelle Interviews zur Arbeitssituation.
  • Ein World Café mit rund 60 Teilnehmer*innen transportierte die Erwartungen und Wünsche aus der interessierten Bürgerschaft, ebenso eine Postkartenaktion der Stadtbücherei mit rund 450 Einsendungen.
  • Zwei konzentrierte Gesprächsrunden mit Expert*innen für das Büchereiwesen vermittelten den fachlichen Blick von außen.
  • Auftragsdefinition und Funktionsrahmen wurden von einer paritätisch zusammengestellten Arbeitsgruppe erstellt. Hier wurden die Ergebnisse der vorangegangenen Bausteine „Mitarbeiterteam“, „Bürgerschaft“ und „Expertenrunde“ zusammengeführt.
  • Die Organisationsberatung der Gemeindeprüfungsanstalt NRW (gpaNRW) erbrachte Vorschläge zur Reorganisation der Bibliothek und zur Beseitigung systemischer und kommunikativer Bruchstellen sowie zur Übertragung von Arbeits- und Entwicklungsschwerpunkten auf die Organisationsstruktur. Inhaltliche Setzungen, Arbeitsfelder und Vorhaben sind jetzt in der Organisationsstruktur deutlicher abgebildet und ablesbarer.

Eine verwaltungsinterne Begleitrunde bestehend aus dem Personalrat, Personalamt, Amt für Gleichstellung, der Schwerbehindertenvertretung und der Dezernentin wurde regelmäßig informiert und deren Anregungen in den Prozess eingebracht.


Fast alle Stufen des Zukunftsprozesses wurden darüber hinaus von verschiedenen externen Beratenden moderiert und durchgeführt. Die Methoden zur Durchführung mussten mit Beginn der Pandemie ständig den Möglichkeiten angepasst werden, die der Corona-Schutzverordnung entsprachen.

Baustein 1: Partizipation des Mitarbeiterteams

Leitbilddiskussion und Teamtag

Die im Juni 2019 aufgenommene Leitbilddiskussion markierte den Einstieg in den Zukunftsprozess. Rund 50 interessierte Miterarbeitende trafen sich in mehreren Leitbildgruppen mehrfach mit der Büchereileiterin zur Diskussion. Diese Gespräche dienten der Skizzierung einer internen Statusermittlung, bei der die Fragen „Wo stehen wir?“ und „Wo müsste es hin?“ im Vordergrund standen. Aus der Leitbilddiskussion heraus ergab sich ein weiteres partizipatives Format: der Teamtag Kultur des Miteinanders.

Der Teamtag am 18. November 2019 konnte an die Leitbilddiskussion anschließen und zeichnete sich durch eine breite Beteiligung aus. Er fand noch ganz analog unter externer Moderation ohne das Leitungsteam der Bibliothek statt, um einen unbelasteten und möglichst offenen Austausch zu ermöglichen. Das Mitarbeiterteam widmete sich u.a. der Frage, wie gut die interne Zusammenarbeit funktioniert und was verbessert werden kann.

Die Diskussion um Handlungsfelder wie Kommunikation/Informationsfluss, Wertschätzung/Anerkennung, Streitkultur, Verhältnis zwischen Hauptstelle/Stadtteilbüchereien, „Etagendenken“, Fehlerkultur verdeutlichte kommunikative Bruchlinien und die Notwendigkeit für ein vertrauensbildendes Maßnahmenpaket. Mit dem Workshop sollte auch erreicht werden, dass sich alle eingeladen fühlten, sich in den Prozess einzubringen.

Mitarbeiterbefragung

Von Januar bis April 2020 führten Stephanie Höpker und Martina Passon von der Gemeindeprüfungsanstalt NRW (gpaNRW) eine Mitarbeiterbefragung in Form von standardisierten Interviews durch. Die Fragen wurden vorab mit der städtischen Statistikstelle sowie dem Personalrat, dem Amt für Gleichstellung, der Schwerbehindertenvertretung und dem Personal- und Organisationsamt abgestimmt. In den Einzelgesprächen konnten die Mitarbeitenden anonym ihre persönliche Sichtweise zur Frage „Wie soll sich die Bücherei aufstellen?“ formulieren.

Die Teilnahme an den Interviews war freiwillig und zeichnete sich durch eine sehr hohe Beteiligung aus – 87% aller Mitarbeiter*innen ließen sich von der gpaNRW befragen. Die Auswertung wies aus, dass sich der überwiegende Teil der Befragten im Bereich des Digitalen nicht ausreichend gut aufgestellt fühlt und auch gleichermaßen zukünftig diesen Bereich für sich nicht in Betracht zieht. Außerdem bekannte sich der überwiegende Teil der Mitarbeiterschaft zur Bücherei als Haus für Wissen und Information.

Der zweite Mitarbeitertag sollte ursprünglich im Februar 2020 stattfinden, musste jedoch sturm- und pandemiebedingt zweimal verschoben werden. Am 14. September 2020 konnte aber schließlich der zweite Mitarbeitertag in mehreren kleinen Arbeitsgruppen in verschiedenen Räumen der Stadtbücherei durchgeführt werden. Mit aufwändiger digitaler Technik wurden die Moderation und die Vorstellung der Arbeitsergebnisse der einzelnen Gruppen live übertragen.

Der Workshop, eine sog. Zukunftswerkstatt für das gesamte Mitarbeiterteam, wurde von Andreas Mittrowann moderiert. In dieser Werkstatt trugen die Teilnehmenden zusammen, wie sie sich die Zukunft der Stadt Münster sowie die Rolle bzw. die Funktionen der Stadtbücherei in Münster im Jahr 2025 vorstellen oder wünschen. Es wurden folgende Themen angesprochen: Bücherei als Treffpunkt, Innovation und Inspiration, Digitales, Kooperationen und Netzwerke.

Baustein 2: Partizipation der Münsteraner Bürgerschaft

World-Café

Am 10. Dezember 2019 lud die Stadtbücherei Münsteraner Bürger*innen zu einem Workshop  in Form eines World Cafés ein. Der Einladung folgten mehr als 60 Menschen, die in fünf Durchgängen Zukunftsszenarien für Ihre Stadtbücherei entwarfen. Moderiert wurde das World Café von Andreas Mittrowann mit Unterstützung von 12 Mitarbeitenden der Bibliothek als Co-Moderator:innen.
Interessierte aller Generationen und verschiedener Nationalitäten, Ehrenamtliche, die die Bücherei schon gut kennen, junge Menschen sowie Nichtnutzer*innen haben sich zu folgenden Leitfragen geäußert:

  1. Welche Aktivitäten sollten in der künftigen Bibliothek verstärkt werden? Welche Aktivitäten sollten weniger Berücksichtigung finden?
  2. Was fehlt Ihnen in der Stadtbücherei?
  3. Was muss eine Bibliothek bieten, damit Sie sie besuchen?
  4. Welche Ideen haben Sie für die räumliche Gestaltung der Bücherei?
  5. Was bedeutet Digitalisierung aus Ihrer Sicht für die Zukunft der Stadtbücherei?

Ein qualitativ hochwertiger Ort mit Aktivitäts- und Ruhezonen und guter Zugänglichkeit durch publikumsfreundliche Öffnungszeiten auch abends und sonntags, vielfältige Partizipations- und Kreativitätschancen, ein Ort der

(Lese-)Kultur, aktive Information und Aufklärung im Digitalen und die Kooperation mit anderen Organisationen – so lassen sich die Wünsche aus der Bürgerschaft systematisieren. Im Prinzip ist damit ein Programm der Öffnung der Bibliothek gegenüber ihrem Publikum und allen Münsteraner Bürger*innen entworfen: die Bibliothek als ein intensiv erfahrbarer, vielgestaltiger, lebhafter und belebter Ort der Stadtgesellschaft.

Metaplanwand mit Ergebnissen des Workshops Wolrd Cafes

Postkartenaktion

Nach der erfolgreichen Durchführung des World Cafés konnten Münsteraner*innen acht Wochen lang auf bereitgestellten Postkarten mit vier verschiedenen Leitfragen, die inhaltlich den Fragen des World Cafés entsprachen, weitere Wünsche und Kritikpunkte notieren. Dieses Angebot zur Partizipation wurde von vielen Besucher*innen sehr gut angenommen. Insgesamt erreichten uns über 600 Rücksendungen.

Postkarten

Baustein 3: Partizipation von externen Fachleuten

Als weiteren Partizipationsbaustein hat die Stadtbücherei Münster eine Expertenrunde zur Beratung hinzugezogen. Diese Gruppe setzte sich aus Vertreter*innen verschiedener Fachgebiete zusammen: Petra Büning (Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken NRW), Anja Flicker (Direktorin der Stadtbibliothek Essen), Prof. Dr. Simone Fühles-Ubach TH Köln), Jan Hoogenberg (Direktor der Bibliothek Enschede) Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer (Universität Duisburg-Essen) und Harald Pilzer (ehemaliger Direktor der Stadtbibliothek Bielefeld).

Zweimal traf sich diese Runde und brachte zahlreiche Beobachtungen, Kritikpunkte, Anregungen und Handlungsempfehlungen in den Zukunftsprozess ein. Die Expertengruppe empfahl der Stadtbücherei, zukünftig u. a. folgende Handlungsfelder in den Blick zu nehmen: Zielgruppe Familien stärken, digitales deutlicher sichtbar machen, die Rolle der Stadtbücherei als Bildungsort klären und das Leitsystem verbessern.

Baustein 4: Auftragsdefinition und Funktionsrahmen

Am 14. Oktober 2020 hat eine Arbeitsgruppe die drei vorangegangenen partizipativen Bausteine „Expertenrunde“, „Bürgerschaft“ und „Mitarbeiterteam“ zusammengeführt. Diese Arbeitsgruppe wurde paritätisch zusammengestellt, d. h. von neuen bis langjährigen Mitarbeitenden sowie aus allen Abteilungen und  Standorten waren die zwölf Teilnehmenden ausgewogen vertreten. Durch diesen ganztägigen Workshop führte erneut Andreas Mittrowann, um die aus Sicht der Stadtbücherei größten und wichtigsten Zukunftsthemen der drei partizipativen Bausteine zu identifizieren.

Anschließend formulierte die Arbeitsgruppe Handlungsfelder der Zukunft und ermittelte exemplarisch mögliche zukünftige Maß­ nahmen. Der Workshop erarbeitete sieben Handlungsfelder, denen wiederum operative Ziele zugeordnet wurden. Sie werden hier ohne konkretisierte Umsetzungsschritte aufgeführt:

  • Bibliothek als Kooperationspartner in lokalen Netzwerken
  • Sichtbarkeit und Profil
  • Zugänge erweitern
  • (Ort der) Begegnung und Teilhabe
  • Digitalisierung
  • Bildung und Wissensvermittlung
  • Medien

In der anschließenden Diskussion wurden zwei strategische Bausteine herausgearbeitet: „Ort für Wissen & Information“ und „Ort der Vernetzung“ übersetzt in die weitergehende Formulierung Begegnung & Austausch. Diesen Oberbegriffen wurden weitere, in der Diskussion als besonders relevant erachtete, thematisch nicht wortwörtlich zu verstehende Bibliotheksrollen und -ziele zu- und untergeordnet, wie die nachstehende Wolke zeigt:

Sie beschreiben das Rollen- und Aufgabenverständnis der Stadtbücherei im Sinne einer offenen strategischen Ausrichtung. Auch sollte die Themenliste nicht zu einem engen Korsett werden; erfahrungsgemäß ergeben sich neue Rollen- und Funktionserwartungen mit unerwarteten Ansprüchen kurzfristig und gleichsam über Nacht.

Baustein 5: Organisationsstruktur und Neuausrichtung

Ein wesentlicher Bestandteil des Zukunftsprozesses ist die Verankerung der thematischen und inhaltlichen Neuorientierung der Stadtbücherei in ihrer Organisationsstruktur. Dies geschah mit Unterstützung der Gemeindeprüfungsanstalt NRW (gpaNRW). Die neue Organisationsstruktur stellt die Verortung und Anbindung der Zielstellungen der Stadtbücherei sicher:

Neues Organigramm der Stadtbibliothek Münster

Ergebnis: Der Rahmen steht – jetzt beginnt die Arbeit

Die Stadtbücherei Münster hat sich mit dem Zukunftsprozess seit Juni 2019 einem intensiven und mehr als 1 ½ Jahre währenden Reflexionsprozess unterzogen. Drei partizipative Formate zeichneten das Verfahren schwerpunktartig aus: die Mitarbeiterbeteiligung, die Bürgerbeteiligung und die Expertenbeteiligung. Ein viertes Format steuerte die Organisationsberatung der Gemeindeprüfungsanstalt NRW (gpaNRW) bei.

Betrachtet man die Ergebnisse der unterschiedlichen Beteiligungsformate, so hat der Zukunftsprozess bei diesen Themen unmittelbar Klarheiten erbracht:

  • Mit der Leitidee Information & Wissen, Begegnung & Austausch für eine demokratische Gesellschaft und den sich daraus ableitenden thematischen Inhalten und praktischen Handlungsfeldern gibt sich die Stadtbücherei eine strategische Ausrichtung und einen orientierenden Aktivitätsrahmen. Ziele und Handlungsfelder sind dargestellt worden. Sie können auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden, praktische Schritte in Form von Projekten können eingeleitet werden.
  • Die Reorganisation der Stadtbücherei passt die Zuständigkeiten und den Personaleinsatz in einer klaren Struktur entlang der Aufgabenstellung an.
  • Das neu formierte Sachgebiet Kommunikation und Projekte bei der Amtsleitung ermöglicht eine zielgerichtete und möglichst reibungsfreie Steuerung der Projektarbeit und Mittelakquise.

Fazit: Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt …

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