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Saatgutbibliothek mit alten Sorten: Erfahrungsbericht aus Leopoldshöhe

Die Gemeindebücherei Leopoldshöhe hat sich im letzten Jahr dazu entschlossen, die Idee der „Saatgutbibliothek“ aufzugreifen. Sie hat hierfür mit dem VEN (Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V.) zusammengearbeitet. Dieser Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, alte Nutzpflanzensorten in private Gärten zu bringen. In diesem Bericht schildert das Team der Bücherei seine Erfahrungen.

Pflanzen aus dem regulären Handel wurden durch Zucht oder Gentechnik stark verändert und sind nicht vermehrbar. Da man aus ihren Früchten keine neuen Pflanzen ziehen kann, könnte man sich mit ihnen nicht selbst mit Lebensmitteln versorgen. Die Vermehrung ist überdies wegen geistiger Eigentumsrechte der Hersteller untersagt.

Der VEN sieht Saatgut als Teil unseres Kulturguts, das die Menschheit seit Jahrtausenden begleitet. Dabei konzentriert er sich auf so genannte „samenfesten Sorten“, da diese wegen ihrer genetischen Vielfalt in der Lage sind, auf sich ändernde Umweltbedingungen und Stress wie Trockenheit zu reagieren. Außerdem werden sie mittels traditioneller Kreuzung und Auslese ohne technische Eingriffe in Zelle oder Gene gezüchtet. Das Wissen darum zu verbreiten und diese Vielfalt zu bewahren ist das Ansinnen des Vereins und unseres gemeinsamen Projekts. Nutzerinnen und Nutzer konnten im Rahmen von Veranstaltungen die Samen ausleihen und sollen am Ende der Saison neu gewonnene Samen zurückgeben.

Während des Projekts wurden wir via Video-Konferenzen mit anderen teilnehmenden Bibliotheken zusammengebracht. So konnten wir konkrete Ideen aus der Bibliothekspraxis austauschen. Frau Gura, Frau Neuendank sowie Frau Karp unterstützten uns mit ihrem Fachwissen zu dem anzubietenden Saatgut. Besonders glücklich war, dass über den VEN Saatgut bestellt werden konnte, das bereits in Tüten verpackt war. Außerdem waren die leeren Tüten für das neu gewonnene Saatgut sowie der Umschlag zur Verbuchung dabei.

Zur Ausleihe des Saatguts haben wir es katalogisiert. Wir haben eine neue Kategorie erstellt (Mediengruppe = Saatgut / Benutzergruppe = Saatgut) und die Ausleihfrist auf ein Jahr festgelegt. Auf diese Art erwarten wir zur neuen Saison die Rückläufer und können diese für die folgenden Ausleihen einarbeiten. Wichtig ist, dass das Saatgut in den entsprechenden, mit dem Sortennamen beschrifteten Tütchen, zurückgegeben wird.

Alles Insider-Wissen über die erhaltenswerten Sorten und den Unterschied zwischen Hybrid-Samen und nicht gelisteten Samen, haben wir durch den VEN erfahren (siehe Glossar am Ende dieses Artikels).

Das Team der Bibliothek freut sich auf die Zusammenarbeit mit der Kita
(v.l. Frau Bertling, Frau Koppmann, Frau Proepper)

Als alles Organisatorische geklärt war, konnten wir in die nächste Phase gehen: Das Saatgut wurde verliehen! Wir haben für das erste Jahr eine Kooperation mit dem Familienzentrum KITA „Das Spatzennest“ geschlossen. Die Kita wird das Saatgut mit den Kindergartenkindern, deren Eltern und Großeltern aussäen und im besten Fall vermehren. Im Rahmen eines Festes können die Kinder dann ihr gewonnenes Saatgut gegen ein kleines Gartenbuch-Geschenk der Gemeindebücherei tauschen.

Abgerundet wurde unser Projekt durch einige Autorenlesungen und Autorenspaziergänge zu Umwelt-und Natur-Themen. Da hatten wir das große Glück eine Förderung für die Veranstaltungen durch das Projekt „Und seitab liegt die Stadt“¹ zu erhalten.

Hochbeete des Heimatvereins Leopoldshöhe mit Saatgut aus der Bücherei

Des Weiteren haben wir mit dem Heimatverein Leopoldshöhe e.V. Kontakte geknüpft, so dass auch dort einiges Saatgut des VEN in den Hochbeeten wächst. Nun hoffen wir auf eine reiche Ernte und viele Rückläufer der Samen von Bohnen, Erbsen, Tomaten, Melde und Salat.

Bei Fragen zu diesem Projekt und unserer Umsetzung können Sie sich gerne an die Gemeindebücherei Leopoldshöhe wenden.

Kerstin Koppmann
k.koppmann@leopoldshoehe.de
Tel: 05208 / 991 – 330   

¹ Und seitab liegt die Stadt« ist ein Projekt der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und des Literarischen Colloquiums Berlin. Es wird gefördert im Rahmen des BKM-Förderprogramms »Kultur in ländlichen Räumen«. Die Mittel stammen aus dem Bundesprogramm »Ländliche Entwicklung« (BULE) des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft

„Saatgut leihen – Vielfalt ernten“ – Infos für Bibliotheken vom Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V. (VEN)

Was bedeutet Saatgutverleih?

Die Bibliotheken können das Saatgut genauso wie andere Medien in ihr Verleihsystem einpflegen. Mit der Ausleihverbuchung (Saatgut + 1 weitere leere Tüte für gewonnenes Saatgut/ Transporttüte mit Zugangsnummer – Sortenname und Barcode) wird der Kontakt zu den Nutzer:innen hergestellt. Der persönliche Kontakt bei der Ausleihe oder begleitenden Veranstaltungen ist eine wichtige Möglichkeit, neben dem Saatgut auch das nötige Wissen an die Nutzer:innen weiter zu geben. Ohne dieses Wissen kann die Vermehrung kaum gut gelingen. Mit einem großen Ausfall müssen sogar Profis rechnen. Daher ist eine Rückgabe von Saatgut zwar wünschenswert, jedoch nicht verpflichtend. Die Saatgutbibliothek sensibilisiert die Menschen für die Saatgutgewinnung und den Erhalt alter Sorten.

Bibliotheken können erfahrungsgemäß mit einem Saatgut-Rücklauf von 10 bis 20 % rechnen.

Dieses Projekt zwischen dem VEN und den kooperierenden Bibliotheken ist ein Bildungsprojekt und kann durch weitere Veranstaltungen wie Lesungen und Workshops ergänzt werden.

Was ist der Unterschied zu einer Saatgut-Tauschkiste?

Das Projekt bietet Saatgut nicht zum Tausch an, weil damit in der Regel das erforderliche Wissen über die Saatgutgewinnung bei Nutzpflanzen nicht weitergegeben werden kann. Außerdem wird bei einer freien Tauschkiste erfahrungsgemäß das Saatgut gerne mitgenommen, aber kaum neues Saatgut hineingelegt.

Warum beschränkt sich der Verleih auf fünf Gemüsesorten?

Tomaten, Bohnen, Erbsen, Salat und Gartenmelde sind selbstbefruchtend und unerwünschte Einkreuzungen zwischen den Sorten einer Gemüseart sind selten. Die Sorten eigenen sich – besonders mit den unterstützenden Newslettern des VEN – gut für Einsteiger:innen.

Für diese fünf Gemüsearten bietet das Projekt des VEN Bildungsmaterial an.

Empfehlenswert ist es nur eine Gemüsesorte von einer Art zu verleihen, um eine Verwechslungsquelle auszuschließen. Saatgut ohne Namen oder mit falschen Sortennamen ist für die Vielfaltserhaltung verloren.

Was bedeutet „Samenfest“ und „Hybrid“?

Beim VEN gibt es das samenfeste Saatgut. Dies kann selbst, im Gegensatz zu den Hybridsorten, sortenrein vermehrt werden. Mit ihrer genetischen Ausstattung können sie sich bei regelmäßigem Anbau gut an ihre Umwelt anpassen.

Hybridsaatgut ist dagegen „Einweg-Saatgut“. Es ist auf den Saatguttüten im Gartenhobbymarkt mit FL oder Hybrid gekennzeichnet. Hybridpflanzen sind gleichförmig und besonders ertragreich. Sie lassen sich aber nicht sortenrein vermehren, man muss für jede Aussaat Saatgut nachkaufen. Fast immer ist die Vermehrung wegen Geistiger Eigentumsrechte (vergleichbar mit Patent) untersagt.

Ist der Verleih rechtlich gestattet? Gibt es Haftungsfragen?

Sorten ohne Geistige Eigentumsrechte dürfen uneingeschränkt vermehrt und weitergegeben werden. Der VEN bietet nur solche Sorten an. Haftungsprobleme sind nicht bekannt. Durch die Vermehrung und die Weitergabe ist in den 35 Jahren, in denen der VEN tätig ist, kein Schaden entstanden.

Vernetzung vor Ort:

Kooperation mit Organisationen und Einzelpersonen vor Ort, beispielsweise Kindertagesstätten, Schulen, Kleingartenverein, Naturschutzbund, Volkshochschulen können das Projekt der Saatgutbibliothek abrunden und aufwerten.

Erfahrungsaustausch mit anderen Bibliotheken:

Das Saatgutverleih-Projekt des VEN veranstaltet Online-Treffen.

Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage des VEN: https://www.nutzpflanzenvielfalt.de/unser-selbstverst%C3%A4ndnis

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