Wer sich einmal eine ganz anders aussehende Bibliothek in den Niederlanden ansehen möchte, sollte unbedingt nach Schiedam reisen. Die hier 2015 neu eröffnete Stadtbibliothek befindet sich in einer ehemaligen „Korenbeurs“ (Getreidebörse), also einer Markthalle. Das denkmalgeschützte Gebäude hat die Planer und Gestalter vor die eine oder andere Herausforderung gestellt, die meiner Meinung nach alle gut gemeistert wurden.
Neben dem monumentalen Bestandsgebäude ist das ausschlaggebende Kennzeichen der Bibliothek in Schiedam, dass es die erste grüne Bibliothek der Niederlande ist. Das bezieht sich natürlich auch auf den Aspekt der Nachhaltigkeit, aber nicht nur. Denn wenn man die Bibliothek betritt, ist dies das erste was man sieht und denkt: „Grün!“
Der Innenhof des Gebäudes wurde überdacht und dient nun in Form eines Atriums als Treffpunkt und Aufenthaltsort der Bibliothek. Neben einem großen Lesetisch und Nutzerarbeitsplätzen gibt es hier vor allem viele Pflanzen. Aber nicht die üblichen kleinen Drachenbäume wie man sie aus der einen oder anderen hiesigen Bibliothek kennt, sondern Bäume, die bis zu 6 Meter hoch sind. Vorwiegend Tamarinde, Ficus und Olivengewächse. Bewässert werden die Pflanzen über ein ausgeklügeltes System, das in den Pflanzgefäßen eingebaut wurde. Es muss also nicht jeden Abend jemand durch die Bibliothek wandern und händisch gießen. Für alle Nichtpflanzenkennern unter den Bibliotheksnutzern ist an jedem Strauch oder Baum ein Schild angebracht mit der Bezeichnung der Pflanze.
Zwischen den Tischen und Pflanzbehältern gibt es im Innenhof auch einen Bereich zum „Chillen“: Auf einer Art Liegewiese können zwei Personen entspannen und über Kopfhörer Musik hören. Die beiden Liegestühle sind zwar aus künstlichem Rasen, trotzdem ist es fast wie im Sommer auf der Wiese im Park.
Auch Zeitschriften zum Schmökern gibt es im Innenhof. Nicht versteckt, aber gut integriert, in einem oder besser gesagt unter einem Hochbeet.
Über dem direkt daneben liegenden Lesetisch hängt ein weiteres Highlight. Eine Leuchte aus vielen kleinen Genever-Gläsern. Schiedam ist für die Herstellung von Genever bekannt und somit ist dieses kleine, verspielte Detail eine schöne Widmung an die eigene Stadt.
Insgesamt mutet der überdachte Innenhof wie ein wilder Garten an, in den man sich bei jedem Wetter zurückziehen kann und trotzdem das Gefühl hat, sich im Freien zu befinden.
In einem am Rande gelegenen, extern betriebenem Lesecafé können sich die Besucher mit Getränken und Speisen stärken, sodass es nicht schwer fällt, in der Bibliothek einen ganzen Tag zu verbringen. Den Hinweis „Essen verboten“ findet man hier nicht. Mit vielen Salaten sowie Sandwiches ist die Auswahl recht groß und ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, auch wirklich lecker.
Um das Atrium herum befindet sich unter dem Gewölbe ein Teil der Medienaufstellung. Dieser Bereich ist zum Innenhof hin offen gestaltet, sodass beide Bereiche zu einer Einheit werden.
Das Bestandsgebäude hat noch eine statische Besonderheit: Der Boden ist nicht ganz gerade – das Gebäude steht sozusagen minimal schief. Im Innenhof fällt einem das nicht so sehr auf. Jedoch spätestens, wenn man durch den Außenbereich schlendert. Dies stellte die für die Ausstattung zuständigen Architekten vor die Frage, ob sie die Regale an den Boden anpassen oder durch Unterbauten ausrichten und gerade aufstellen. Tatsächlich stehen nun auch die Regale leicht schief. Hätte man die Regale mit einer Wasserwaage ausgerichtet, wäre bei dem Nutzer der Eindruck entstanden, dass der Raum noch viel schiefer ist. Vielen Nutzern fällt deshalb der leicht abfallende Boden oft gar nicht auf.
Eine weitere Besonderheit sind die Bilderbuchtröge in der Kinderbücherei und die Präsentationsmöbel. Sie bestehen schlichtweg aus Papier. Dieses wird maschinell aufgewickelt und verklebt, sodass eine sehr stabile Kartonage entsteht. Quadratisch, jedoch mit abgerundeten Ecken, bilden sie in verschiedenen Höhen Buchtröge. Sie sind mit leuchtend orangenen Spanngurten zu kleinen Einheiten zusammengefügt oder können mit einem eigens dafür entworfenem Deckel zum Hocker umfunktioniert werden.
In das erste Obergeschoss gelangt man über eine dem Design der Regale angepasste, hölzerne Wendeltreppe oder aber barrierefrei über einen aufwändig in das Gebäude integrierten Aufzug. Hier oben sind die Regale aus eben jenen Kartonagen. Aufeinander gestapelt, durch Holzkästen ergänzt und mit Gurten befestigt, stehen hier freistehende Regale, die kostengünstig in der Herstellung und trotzdem äußerst stabil sind. Damit die Regale nicht von unten her aufweichen, wenn nass gewischt wird, stehen sie auf einer kleinen Unterkonstruktion aus Holzbalken.
Im Obergeschoss des Gebäudes befinden sich neben der Medienaufstellung vor den Fenstern noch weitere Nutzerarbeitsplätze, von denen man einen tollen Blick auf den historischen Stadtkern hat. Zudem ist hier oben ein Veranstaltungs-/Seminarraum.
Mein Gesamteindruck: Die Gestaltung der Stadtbibliothek in Schiedam ist alles andere als gewöhnlich. Der Mix aus historischem Gebäude, den vielen Pflanzen, dem hellen Holz der Einbauten und den Kartonregalen ist so spannend und doch so stimmig, dass die Bibliothek zu einem beliebten Treffpunkt für die Bürger von Schiedam geworden ist und auch ein sehenswertes Ausflugsziel für Bibliotheksinteressierte darstellt.
Weitere Beiträge dieser Reihe:
Bibliotheken im Ausland – Die Fachstelle auf Reisen (Teil 1)